Gedanken eines Nachbarn über Verschwörungstheoretiker

Samstag, den 09. Oktober 2010 um 15:52 Uhr Bernd Merling Verschwörungsideologien - Grundsätzliches
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freimaurer-illuminaten-wie-verschwoerungstheorien-funktionieren In meinen Augen sind Verschwörungstheorien IMMER falsch. Ein seriöser Zweifler und Kritiker versucht immer eines: nämlich mit denen, die andere Sichtweisen zu einem Zustand oder Ereignis haben, zu diskutieren. Wenn er seriös ist, wird er seine gegenteilige Theorie nur so aufstellen, dass er gleichzeitig versucht, die Argumente seiner Gegner möglichst stark zu machen und dann zeigen, dass seine Argumente auch stark sind oder stärker. Wenn sie stark sind, dann wird sich meist die ganze Öffentlichkeit damit beschäftigen.

Verschwörungstheoretiker dagegen verkünden stets mit großer Geste (statt gutem Argument) die Wahrheit und mitnichten sind sie bereit zu einem öffentlichen Diskurs.
Der nächste Punkt ist, dass sie unbeschreiblich arrogant sind: Sie halten es für möglich, dass Menschen ganzer Berufsgruppen oder Institutionen sämtlich korrumpieren, dass z.B. alle (seriösen) Journalisten die Wahrheit verschwiegen, dass alle (seriösen) Politiker einen heimlichen Kastenschwur geleistet hätten, usw. Die Verschwörungstheoretiker (die oft keine Erfahrungen in den jeweiligen kritisierten Bereichen haben) urteilen ab und stilisieren sich nach dem Modell "einsamer Robin-Hood" oder "erleuchteter Aufklärer" und sie treten immer als Streiter für die Wahrheit auf (kein ernster Mensch würde so dreist sein Wahrheit für sich zu beanspruchen. Vernunft ja, aber Wahrheit ... Wahrheit ist immer eine Sache eines Gesprächs, in die viele Perspektiven einfließen – so wie in einer Gerichtsverhandlung. Die Voraussetzung ist eine gewisse Vernünftigkeit. Aber Verschwörungstheoretiker lieben meist die isolierte Wahrheit – daran kann man sie übrigens auch meistens sicher und schnell erkennen).

Dass solche Theorien immer wieder gern geglaubt werden, hat m.E. viele Gründe. Erstens ist es schick, entweder "denen da oben" oder "den Amerikanern" oder "dem politisch-industriellen Komplex" oder wem auch immer alles zuzutrauen. Es scheint einen fast natürlichen Hang zum Extremismus zu geben. Außerdem ist die Realität kompliziert und viele möchten sie dennoch insgesamt beurteilen und erklären können. Gleichzeitig wollen sie sich aber nicht in den mühsamen Diskurs mit verschiedenen Meinungen und Perspektiven begeben, denn das ist ermüdend, langwierig und  langweilig. Verschwörungstheorien haben wenigstens was Prickelndes – jedenfalls für nicht wenige. Außerdem, wer sich selbst außerordentlich ohnmächtig fühlt, wird anderen außerordentlich viel Macht zutrauen, und damit Verschwörungstheorien immer gern bereitwillig aufnehmen. Denn das ist ein wunderbar bequemer Weg, selbst eine Form von Macht zu empfinden: dass man selbst wenigstens nicht zu den bösen Mächtigen gehört;  das heißt, dass man selbst wenigstens nicht
"verschmutzt" ist, dass man selbst "gut" ist (Ohnmacht-Macht). Immer wenn man was von der "Schmutzigkeit" in den Machtsphären der wirklichen Welt erfährt, nimmt man es dankbar auf, weil man darüber froh sein kann, selbst davon unverdorben zu sein. Diese "heimliche Macht durch heimliches Gutsein", diese Ohnmachts- oder Gutsein-Macht ist furchtbar, weil verantwortungslos, verbissen und selbstunsicher. Sie entzieht sich auch dem öffentlichen Gespräch. Die
Verschwörungstheoretiker selbst treten freilich nicht so auf; aber ich habe immer wieder den Eindruck, dass die Anhänger diese Züge haben.

Ich finde, man braucht nur einen flüchtigen Blick auf die Thesen von Jones oder Icke zu werfen, um zu sehen, dass das alles nur eines ist: dumm. Nirgends ein sachliches, überzeugendes Argumentieren, überall nur Aufgeregtheit. Aber das ist auch typisch. Wenn man ein aufgescheuchtes Huhn um sich hat, kann man selber kaum ruhig bleiben und die Unruhe hat dann  auch Realität. Die Gründe für das Aufgescheuchtsein sind dann ziemlich egal.

Nebenbei, in ganz seltenen Fällen kommt es vor, dass eine vernünftige Einschätzung der Dinge fehl geht. Das einzige  dramatische Beispiel, das ich kenne, ist das Bekanntwerden der Vernichtungslager der Nazis. Als die ersten Berichte darüber kursierten, hätte man vernünftigerweise (ohne weitere Belege) annehmen müssen, dass solche Berichte eine
"Verschwörungstheorie" sind, denn vernünftigerweise sprach alles dagegen: Die Nazis hatten bereits einen Krieg an verschiedenen Fronten eröffnet, sie brauchten alle Kräfte für den Krieg. Wie konnten sie parallel auch noch dieses extrem aufwändige und monströse Programm verfolgen? Dass sie die Menschen in Arbeitslager bringen, wo sie unter schlimmen
Bedingungen Kriegsgerät produzieren würden – das wäre vernünftig gewesen für möglich oder auch wahrscheinlich gehalten zu werden. Aber nicht die Vernichtung. – Man muss also durchaus vorsichtig sein und mit Dingen rechnen, die  man selbst vernünftigerweise nicht für möglich hält. Allerdings waren die ersten Berichterstatter im Falle der Vernichtungslager keine posaunenden Verschwörungstheoretiker, sondern einfache, stille Beobachter und Opfer. Sie  hatten also schon als Personen Aufmerksamkeit verdient. "